Vomiting Rainbows - oder: Der Post von letzter Woche


Letzten Montag habe ich mich beim Schreiben der nun folgenden Geschichte für die termingerechte Veröffentlichung auf meinem eigenen Blog disqualifiziert. Aus mir noch immer rätselhaften Gründen, hatte ich die Erfahrung, über die ich eigentlich leichtfüßig berichten wollte, noch nicht so ganz verdaut. Ich hatte nicht nur einen Post geschrieben, sondern auch eine kleine Hassbotschaft an die damalige Verantwortliche, die man auch ohne Brille zwischen den Zeilen entdecken konnte. Eben so gar nicht leni-like. Nach dieser leicht irritierenden Erfahrung habe ich mich wieder berappelt, in alte Posts vergraben und bin mir meiner Schreibe wieder bewusst geworden. Jetzt knöpfe ich mir den Text noch mal vor, wäre doch gelacht.

Die Vorgeschichte


Ehe ich endlich zu meiner geheimnisvollen Geschichte komme, muss ich noch ein wenig um den heißen Brei herum reden. Vor nun mittlerweile zwei Wochen erregte ein kleiner, sozialmedialer Vorfall mein Gemüt und schob das zehn Jahre alte Erlebnis zurück in mein Gedächtnis. In nichts banalerem als einem Taff-Beitrag sollte über die Socialmedia-App Snapchat berichtet werden, die es ermöglicht, einmalig Fotos und maximal 10sekündige Videos, zu teilen. So mancher hat in letzter Zeit eventuell vom Phänomen „Regenbogen  kotzen“ gehört...ja, genau: das ist Snapchat.  

Reisebloggerin Christine Neder (lilies_diary), sollte als "Expertin" über die Faszination und den Nutzen der App sprechen, insbesondere für sie als Bloggerin. Das erfuhr ich jedoch nicht bei Taff, sondern weil ich Christines Snapchat Geschichten schon seit einer Weile verfolge und sie dort ganz aufgeregt und voller Vorfreude darüber berichtete. Sie snappte auch während der Beitrag gedreht wurde - natürlich, soll ja auch alles realistisch sein. Denkste.

In der folgenden Woche zeigte Taff einen Beitrag über die snapchatsüchtige Christine, die sich bis zu 6 Stunden am Tag von der Außenwelt isoliert. Sogar ihr Freund schäme sich mittlerweile so sehr für ihre Sucht, dass er nicht für Aufnahmen vor die Kamera treten wolle. 

Da wunderte sich nicht nur Christine und wütete auf ihrem Blog (Link) gegen die Redakteurin, die nur wenige Sätze aus dem zweistündigen Interview benutzt und sich somit auf Christines Kosten einen vermeintlich interessanteren Beitrag zusammen gebastelt hatte. Neben viel Zustimmung rauschte der Reisebloggerin daraufhin jedoch auch viel Schlaubergertum entgegen. Sie sei ja so naiv. Bei einem Format wie Taff hätte sie doch nichts anderes erwarten können. 

Verdrehte Tatsachen


Die verdrehten Tatsachen im Fall der Christine N. kamen mir nur allzu bekannt vor. Vor etwas über zehn Jahren habe ich den Fehler gemacht, mein Abiball-Styling in die Hände einer RTL-Redakteurin zu legen. 

Wir schreiben das Jahr 2005. Eines Tages im vermutlich verregneten April, ich hatte wohl gerade RTL geschaut und mal wieder überlegt, was ich zum Abiball anziehen sollte, schrieb ich ohne viel darüber nachzudenken eine E-Mail an die Punkt 12-Redaktion. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen Wortlaut: 

 „Wir feiern unseren Abiball im Ballsaal eines vornehmen Hotels. Mein Freund und ich würden gern dementsprechend gekleidet sein, wissen aber nicht, wo wir in unserer Kleinstadt das passende Outfit finden sollen.“ 

Die Redakteurin sah in meiner Anfrage wohl die perfekte Story für die „Besser Stylen“-Rubrik und schrieb mir umgehend zurück. Wenige E-Mails später hatte ich ein RTL-Kamerateam samt Stylisten für den Abiball klar gemacht und musste mir fortan keine Gedanken mehr um mein Outfit machen. Geschweige denn über dessen Preis. 

Eine Woche vor dem großen Tag schrieb die Redakteurin, dass der Stylist am Wochenende unseres Abiballs nun leider doch keine Zeit hat, da er Barbara Becker beim Anziehen helfen muss. Als Plan B schlug sie vor, dass wir stattdessen nach Berlin kommen sollten. Anstatt also in-Reihe-gehen und Händeschütteln für unsere Zeugnisübergabe zu proben, fuhren wir kurz vor knapp mit dem Zug nach Berlin. Extra kaum geschminkt und so basic gekleidet wie möglich, damit das Vorher/Nachher-Ergebnis umso beeindruckender ist.

"Ihr müsst unbedingt sagen, wenn euch was nicht gefällt",


versuchte uns das Kamerateam einzutrichtern, während wir bei laufendem Motor warteten, dass Redakteurin und Stylist High Heels für mich kauften. Sie sprachen aus Erfahrung, was mir erst später so richtig bewusst werden würde. 

Im hippen Friseursalon knüpfte mir der hippe Friseur einen mir bis dato noch unbekannten und deshalb umso exotischen Fischgrätenzopf und ließ ihn durch Rauszupfen kleiner Strähnen besonders messy aussehen. Da die Frisur nicht bis übermorgen halten würde, stand sie für mich sowieso nicht im Mittelpunkt. Die Hairstylistin mit dem ironischen Vokuhila zauberte meinem damaligen Freund Highlights in die Spitzen und schnitt ein paar Millimeter ab. Natürlich in umgekehrter Reihenfolge. 

Nach drei Anläufen für ein Mini-Interview über unsere Abiturnoten, winkte uns der Stylist mit der typischen Handbewegung in eine kleine Boutique, die dem Friseurladen in seiner Hippness ins Nichts nachstand. Für ein paar Schnittbilder hielten wir uns gegenseitig Kleidungsstücke vors Gesicht, schüttelten mit gerümpfter Nase den Kopf oder nickten wohlwollend. Das erste Outfit war auserkoren. Schwarzer Anzug und schwarzes Hemd für ihn und ein schwarzes Kleid mit tiiiiiefem Rückenausschnitt für mich. Wir sahen aus wie die Beckhams. Aufgrund des Rückenausschnittes war das Kleid leider nicht BH-kompatibel - ein Ausschlusskriterium. Der Stylist erklärte in die Kamera, dass dies ein sehr klassisches Outfit sei, aber, dass das sicher noch besser ginge. Er reichte uns das komplette Kontrastprogramm in die Umkleidekabine. Einen weißen Leinenanzug mit fliederfarbenem Hemd und ein farblich passendes Blümchenkleid, welches auffällig gut zu meinem verspielten Zopf passte. 

Das 30-jährige Ich würde beim Anblick dieses Outfits, insbesondere beim Anblick meiner damaligen Figur, sofort zuschlagen. Herrje, warum weiß man eigentlich während man eine super Figur oder tolle Haare hat, ebendiese nicht zu schätzen, sondern erst, wenn man sich Jahre später Fotos davon anguckt?? Meinem 20-jährigen Ich war aber der Ausschnitt zu groß und da ich nicht auf der Suche nach einem sommerlichen 70er-Jahre Outfit war, sondern nach einer feierlichen Robe, fiel auch dieses Outfit durch. 

Drehschluss


Die beiden Outfits, dazugehörige Interviews und Schnittbilder abgedreht, war für die Redakteurin der Beitrag im Kasten. Sie stand dann schon mal draußen und rauchte. Mittlerweile war auch ihr Mann mit Kind gekommen und sie warteten gemeinsam auf ihren Feierabend...wollten noch Essen gehen. Ich hingegen durchwühlte immer noch den Laden, auf der Suche nach einem langen Kleid. Der Stylist fragte mich, warum mir seine Auswahl nicht gefiel und schaute mich fragend an, als ich ihm sagte, wonach ich gerade suchte. Hatte ihm die Redakteurin wohl vergessen zu sagen. Wahrscheinlich hätte ihm die Suche nach einer Abendrobe ebenso Spaß bereitet. Sowas kennt er ja sicher von Babs. 

Nagut. Dann feiern wir halt als David Beckham und Posh Spice verkleidet das Ende unserer Schulzeit. „Die schwarzen Outfits?“, fragte die Redakteurin, die aufgeraucht hatte und fragen wollte, was denn nun ist. Sie zog scharf die Luft durch die Zähne: „Da sprengt leider schon das Jacket unser gesamtes Budget. Das können wir leider nicht machen.“ Schade, hatte ich doch immer angenommen, dass die Protagonisten solcher Beiträge verschiedene Outfits anprobierten, um sich am Ende für eines davon zu entscheiden. War wohl ein Missverständnis meinerseits. Die Zeit drängte. Das mitgebrachte Kind wurde langsam quengelig. 

Letztendlich entschied ich mich für ein Kleid, welches man ungefähr als das genaue Gegenteil des weißen Leinenanzuges bezeichnen konnte. Es war schwarz und wurde vorne mit einem Reißverschluss geschlossen. Hinten hatte es drei Schnallen, unter denen man hervorragend den BH verstecken konnte. Also eben nicht hervorragend. 

Aber pssst, eigentlich darf das keiner wissen


Am Ende des Tages fuhren wir mit dem Kamerateam und dem Stylisten - die Redakteurin aß währendessen wahrscheinlich schon ihren Nachtisch - in einen Park und mimten für die Kamera das glückliche Paar mit dem lässigen, fliederfarbenen Wunschoutfit. Denn wie wir einige Wochen später bei der Ausstrahlung des Beitrages erfuhren, war es unser erklärtes Ziel gewesen, bei unserem Abiball „auf gar keinen Fall fpiefig“ auszusehen, so die Anmoderation von Katja Burkard. 

Wenn ich mir heute die Fotos vom Abiball anschaue, sehe ich trotz Allem eine lächelnde und glückliche Leni, die mit Freunden und Familie das Ende ihrer Schulzeit feiert. Damals war es okay. Es war irgendwie dumm gelaufen, aber zumindest hatte ich ein Kleid und dank Kontakte meiner Mutter noch einen kurzfristigen Termin beim Friseur bekommen. Mit dem nicht perfekten Outfit hatte ich wahrscheinlich auch schon letzte Woche abgeschlossen, aber nicht mit der Redakteurin, die ihre Beitragsidee „lässiger Abiball“ durchgesetzt und uns als unwissende Laien-Darsteller dafür eingesetzt hat. Durch Christines Taff-Beitrag wurde die Wut noch einmal geweckt und bis in meine Fingerspitzen geschürt, sodass ich nicht in der Lage war, so darüber zu schreiben, wie ich eigentlich vor hatte. Ich hoffe, mit diesem Text habe ich nun endlich alle übrigen Krümel dieser Geschichte weg geknabbert.
 



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Tuesday Is The New Black - oder: Eine interessante Erkenntnis



Dass ich jeden Montag einen Post veröffentlichen will, habe ich mir selbst zu zuschreiben. Irgendwo muss man mit seiner Selbstdisziplin ja anfangen. Seitdem ich das so mache, wird mir wieder umso mehr bewusst, wie schnell eine Woche vergehen kann.

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I Can Hear You - oder: Anonym in Berlin



Was ist denn jetzt schon wieder? Hat es vielleicht Hunger? Oder schon wieder die Windeln voll? Es schreit und plärrt und quäkt und ich bin völlig überfragt. Und auch wenn ich wüsste, was zu tun ist, ich kann und werde nichts gegen das Brüllen des Babys ausrichten können. Ich bin schließlich nur die Nachbarin auf der anderen Seite einer scheinbar doch sehr dünnen Wand. Alles was ich tun kann, ist die Musik lauter zu drehen. 

Seit dreieinhalb Jahren wohne ich in meiner jetzigen Wohnung in einem 9-Parteienhaus. Gleich an meinem ersten Tag performte der Nachbar von unten den obligatorischen Besen-Decke-Gruß und hieß mich herzlich Willkommen, während ich versuchte meinen neu erstandenen Badezimmerschrank zusammen zu bauen. Vielleicht grüß ich demnächst mal zurück, sobald die Birke, die aus seinem Blumenkasten wächst, meinen Balkon erreicht hat. Lange kann es nicht mehr dauern. 


Ich höre was, was ich nicht seh


Die Wohnung ist sehr hellhörig, war das also schon mal direkt von Anfang an geklärt. Ohne es unbedingt zu wollen, hat sich dank der verschiedenartigen Geräusche, die durch die Wand zu mir dringen, in meinem Kopf ein ungefähres Bild der Wohnzimmerwand-Nachbarsfamilie formen können. Seit circa zweieinhalb Jahren besitzt das vermutlich junge Paar einen Hund, den sie anfangs oft alleine lassen mussten. Seinem endlosen Jaulen nach zu urteilen schien ihm das weniger gut zu gefallen. Nach einer hartnäckigen Erkältung im letzten Winter, bei der ich mich schon fast zusammenreißen musste, nicht doch mal ein „Gesundheit!“ durch die Wand zu rufen, entschieden die beiden wohl den nächsten großen Schritt zu gehen und eine Familie zu gründen. Vor zwei Monaten trat nun das kleine, süße Schrei-Baby in unser Leben. Den Hund hört man nur noch selten bellen, wahrscheinlich weil Dank des Babys jetzt immer jemand zu Hause ist.  

Genauso, wie ich sie höre, hören sie sicherlich auch mich und mokieren sich abends auf dem Sofa: „Jetzt tippt die wieder so laut.“ Die können froh sein, dass sie Anfang des Jahres nicht Ohrenzeuge meiner neverending Bronchitis werden mussten. Die war einzig den Schlafzimmerwand-Nachbarn vorbehalten. Um der Dicke der Wände bewusst, schlich sich bei mir nach einer Woche Dauerhusten langsam ein schlechtes Gewissen ein. Die Nachbarn waren mit Sicherheit ähnlich erfreut wie ich, als mein Husten sich allmählich lockerte und langsam abklang. Naja, jetzt sind wir quitt. Ich bin schließlich auch schon des Öfteren durch das Klingeln ihres Nachtschicht-Weckers aufgewacht. Und das wäre nicht mal das Schlimmste. Schlafzimmerwand-Nachbarn sind nochmal eine ganz andere Liga. 

Wie gesagt, wir sind quitt.

Anonym in Berlin

 

Ich wuchs in einer Kleinstadt auf. In meiner Kindheit kannte ich die Anwohner der ganzen Straße beim Namen. In Berlin lebt man anonym. Und eigentlich bin ich ganz froh darüber, dass ich nicht weiß, wer hinter dem wandgefilterten Niesen, Quäken und Stöhnen steckt. Ich bin froh, dass ich keinen aufgesetzten Smalltalk halten muss, wenn ich ein beim Nachbarn abgegebenes Paket abhole. Ich bin froh, dass ich nicht immer wieder dem Nachbarn von gegenüber winken muss, nur weil wir uns irgendwie kennen. Weil wir in derselben Straßen wohnen. Weil wir uns oft sehen. 

So ein Kandidat wäre zum Beispiel der Mann von gegenüber oder wie ich ihn nenne: Der Mann im orangenen Pullover. Mehrmals am Tag geht er auf den Balkon, um zu rauchen. Dabei zieht er jedes Mal seinen wohl extra dafür vorgesehenen, orangenen Rauch-Pullover an. Wenn ich die Wäsche aufhänge, die Rollläden runter lasse oder einfach nur mal Luft schnappen will - er ist da. Man kann schon behaupten, wir sehen uns täglich und dennoch bezweifle ich, dass ich ihn, zufällig beim Einkaufen getroffen, erkennen würde. Es sei denn er trägt einen orangenen Pullover und einen Balkon vor sich her. 

Same Same, but...Same


Während ich meinen Hitchcock'schen Blick über die Nachbarn von gegenüber streifen ließ, ist mir vor einiger Zeit etwas Interessantes aufgefallen. Zum einen, dass viele Menschen heutzutage auf Vorhänge oder Gardinen verzichten. Zum anderen, dass die Nachbarn von gegenüber einen sehr ähnlichen Einrichtungsgeschmack haben. Besonders abends kann man gut erkennen, dass das junge Paar von ganz oben und das wahrscheinlich ebenso junge Paar aus der Etage darunter, exakt das gleiche Bild an exakt derselben Stelle hängen haben. Nicht nur ein Bild. Es ist Das. Gleiche. Bild. Man könnte meinen, dass sei ein unheimlich großer Zufall. Andere sagen, es ist Schicksal. Oder das Shining?! Aber ehrlich gesagt, nein. 

Es ist Ikea.






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...Loading - oder: Eine Abhängigkeitserklärung





Mein Internet bewegt sich heute auf einem Geschwindigkeitsniveau von 2001. Eine Zeit, in der ich meine Abende mit der neuen Freizeitbeschäftigung „chatten“ verbrachte und in der man zwischen dem Klick auf den Enter-Button und dem Öffnen des Chatfensters genug Zeit hatte, nochmal aufs Klo zu gehen.

Ich googelte damals noch mit lycos und fragte den Babelfish nach Übersetzungen. Wenn man irgendwo hin wollte, druckte man sich bei falk.de einen Routenplan aus und folgte den Anweisungen. Heute bin ich unterwegs ohne mein internetfähiges Handy (und ohne ausgedruckten Routenplan) nahezu aufgeschmissen. In letzter Zeit beschließt mein iPhone sich auch schon mal bei 17% Restakku zu verabschieden. Vor kurzem geschah dies mitten in Pankow. Ich hatte gerade eine Freundin in einer mir weniger bekannten Gegend besucht und machte mich auf dem Heimweg, für den ich zuerst Bus und dann S-Bahn benötigte. Aber: Wann kommt der Bus? Ohne Fahrplan-App gibt es für die Beantwortung dieser Frage glücklicherweise den Aushang des Busfahrplans an der Bushaltestelle. Ich erfuhr, dass der Bus immer 1, 21 und 41 kommt. Jetzt die banalere Frage: Wie spät ist es? Seit mehreren Jahren verlasse ich mich ausschließlich auf mein Handy, wenn es um die Uhrzeit geht. Auf den Bus warten, wenn man nicht weiß, wann er so ungefähr kommt, ist eine semi-spaßige Lotterie. Ich befürchtete nach wenigen Minuten bereits hunderte von Textnachrichten oder eine weltbewegendes Ereignis verpasst zu haben und verspürte den Drang jemanden per Whatsapp über meine missliche Lage in Kenntnis zu setzen. All meine Gedanken kreisten um Dinge, die mir nur mein ausgegangenes iPhone hätte erfüllen können. Das erinnerte mich an die Momente, in denen man bei einem  Stromausfall - wissend, dass man nicht Fernsehen kann - vorschlägt, dann doch einfach eine DVD zu schauen. 

Auch jetzt ist das Wörtchen „Senden“ in Whatsapp ausgegraut und vor meinen Snapchat-Nachrichten dreht sich der Ladebalken seit Unendlichkeiten im Kreis. Da ich mich also nicht, wie geplant, ziellos durchs Internet klicken kann, meine Apps so keinen Spaß machen und auch netflixen keine Option ist, lese ich zunächst einmal ein Buch. In diesem Falle allerdings eine Verzweiflungstat, da es sich um den Titel „Orange is the new Black“ handelt und das Lesen somit den Versuch eines warmen Entzugs nach gestriger Beendigung der dritten Staffel darstellt. 

Ich weiß gar nicht, ob ich froh sein oder mich ärgern sollte, dass meine Schulzeit bereits beendet war, bevor das Internet und Smartphones ihre extreme Entwicklung voranschreiten ließen. Vielleicht hätte eine Mathe-App meine vielen Nachhilfestunden ersetzen können. Vielleicht hätten YouTube-Erklär-Videos meine naturwissenschaftliche Insuffizienz heilen und mir damit besser durch die Schulzeit helfen können, als so manches Lehrbuch. Ich bin dann aber doch ziemlich sicher, dass mich die neue Technik eher abgelenkt, als das sie mir geholfen hätte. Meine einzige Ablenkung war damals nur das nachmittägliche Fernsehprogramm, bei dem ich zumindest bei der Werbung einen Anstoß fand für die nächsten sieben Minuten konzentriert weiter zu arbeiten. Bei YouTube kann man die Werbung nach fünf Sekunden wegklicken. Und wie sehr man sich auch anstrengt, nach circa drei Lehrvideos, kann man nicht widerstehen, kurz mal (alle) „ThankYou-Notes“ von Jimmy Fallon anzuschauen, nur um wenige Klicks später in den Tiefen von YouTube zu versinken. Ehe man sich versieht ist es zwei Stunden später und man kommt langsam wieder zu sich, während sich auf dem Bildschirm jemand in einem siebenminütigen Video seine zehn Jahre alten Dreadlocks rausbürstet.

Meine zukünftigen Kinder werden mich mit krauser Stirn anschauen, wenn ich ihnen zu erklären versuche, dass ich zu meiner Zeit sechs verschiedene Geräte mit in den Urlaub nehmen musste, um zu telefonieren, zu fotografieren, zu navigieren, zu filmen, Musik zu hören und Tetris zu spielen. Heutigen Kindern ist vielleicht weder Tetris ein Begriff, noch erschließt sich ihnen der Zusammenhang, warum es Telefon „abnehmen“ und „auflegen“ heißt, slided man heute doch eher einen Anruf entgegen oder drückt einen virtuellen, grünen Knopf. Gott sei Dank hat es sich ja größtenteils wieder eingebürgert, dass Telefone wieder „klingeln“. Ab und zu dröhnt in der S-Bahn jedoch immer noch eine übersteuerte Version von „Atemlos“ los und eine Frau Mitte 40 beginnt plötzlich hastig in ihrer Tasche zu kramen.  

Mittlerweile hat mein Internet wieder Normalgeschwindigkeit erreicht. Zur Lösung des Problems habe ich den Router mehrmals an- und wieder ausgeschaltet. Dennoch wage ich es zu bezweifeln, dass dies wirklich den Fehler behoben hat. Ich les noch schnell das Kapitel zu Ende und google dann mal, was eigentlich aus lycos geworden ist.  

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