Stuck In The Middle - oder: Leichte Brise im Nacken




Es ist 9:05 Uhr und ich laufe die Treppe zur U-Bahn hinunter. Der U-Bahn-Wind weht mir Staub in die Augen und ich hoffe inständig, dass nicht meine wegfahrende Bahn diesen Luftzug verursacht. Endlich sehe ich die Anzeigetafel. Glück gehabt! Noch 1 Minute.

Ich laufe bis ans Ende des Gleises, da ich in acht Stationen dort auch wieder aussteigen muss und hoffe damit, das morgendliche Ausweichspiel auf dem vollen Bahnsteig verkürzen zu können. Die U-Bahn fährt ein und beherbergt Menschen, die sich heute scheinbar besonders lieb haben. Wenn die S-Bahn streikt, ist auch die U-Bahn betroffen. Die Tür öffnet sich nicht. Niemand möchte die kuschelige Rundfahrt verlassen und ich entscheide, nach einem kurzen Blick auf die Uhr, dass ich auch nicht stören möchte. Ich warte auf die nächste Bahn, wohl wissend, dass diese auch nicht viel leerer sein wird. Andere scheinen keine Zeit zu haben und quetschen sich unter jauchzenden Freudenbekundungen zu den Anderen. Die Türen gehen wieder zu. Die Hälfte einer Tasche bleibt draußen. Die Bahn fährt los.

Fünf Minuten später. Neue Bahn. Gleicher Anblick. Die Türen öffnen sich und die Bahn gebiert drei Leute, die sich hastig abklopfen und auf wackligen Beinen das Weite suchen. Ich habe jetzt auch keine andere Wahl, als mitzufahren. Ich mache einen Schritt in die Bahn und bleibe genauso für die nächsten zehn Minuten stehen. Mit zwei Fingern kann ich mich am Haltegriff abstützen, um bei der nächsten Bremsung keinen Dominoeffekt auszulösen. Von rechts oben wird mir in den Nacken geatmet. Von links haut die Kante einer Tasche in meine Rippen. Jemand hat gestern viel Knoblauch gegessen.

Noch eine Station bis zum Alexanderplatz. Hier will ich raus. Hier wollen alle raus. Eine Frau beginnt aber jetzt schon sich von ihrem Sitz zu erheben und sich durch die Menge zu quetschen. Sie möchte wohl als allererste von uns aussteigen und bahnt sich ihren Weg in Richtung Tür. Die Frau hat es gerade 2 m weit geschafft, da sind wir auch schon angekommen. Endstation. Bitte alle raushasten. Die Türen öffnen sich. Ich und meine Mitfahrer quellen über den Bahnsteig. Ich begebe mich in Richtung Rolltreppe, auf der mir jeden Tag aufs Neue ein Spruch in den Kopf kommt: „Links gehen, rechts stehen.“ Diesen Leitsatz scheint nicht jeder zu kennen, aber heute ist sowieso alles egal. Heute stehen einfach mal alle.

Ich verlasse über meinen routinierten Weg den Bahnhof, um nun mit dem Bus weiterzufahren. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass er in vier Minuten kommen müsste. Diesen Satz zu Ende gedacht, fährt er auch schon an mir vorbei. Nach fünfzehn Minuten, der nächste Bus scheint diesmal zu spät zu kommen, beginnt mein Kopf mit seinem Lieblingsspiel: Warte ich noch weiter auf den Bus oder geh ich wieder runter zur U-Bahn? Der Bus hat die klaren Vorteile, dass er nicht so voll ist und schneller ankommt. Die U-Bahn ist…die U-Bahn. Als ich gerade auf dem Absatz kehrt machen und mich meinem Schicksal stellen will, glänzt der gelbe Bus am Horizont.

Wenn es darum geht in ein öffentliches Verkehrsmittel einzusteigen, ist kein Mann mehr ein Gentleman. So lasse ich die zwei Männer, die gerade noch neben mir auf die sich öffnende Bustür gewartet haben, einsteigen und tue es ihnen danach gleich. An diesem besonderen Tag kann ich tatsächlich noch ein Plätzchen ganz hinten ergattern. Ich setze mich und habe für die nächsten fünf Minuten einen Rucksack gefährlich nah vor dem Gesicht hängen. Meine Fahrt dauert eigentlich 15 Minuten, aber niemand hat mit dem gerechnet, was an der nächsten Bushaltestelle auf uns wartet. Ein gesunder Menschenverstand hätte davon abgeraten. Eine einfache mathematische Gleichung auch. Aber plötzlich ist es dann doch um eine spanische Schulklasse lauter und enger im Bus. Nach nur wenigen Metern knallt es, der Bus bleibt stehen und senkt sich an einer Seite ab. Ich weiß bis heute nicht, was da geplatzt ist, aber die Schulklasse hat zu Hause auf jeden Fall ne richtig coole Story zu erzählen.

Also doch zur U-Bahn. Die Linien, die mich jetzt noch von meinem Ziel trennen, scheinen nicht so stark frequentiert zu sein. Ich kann sitzen und muss nur noch mein ganz persönliches Hindernis überwinden, den Hermannplatz nicht mit der Hermannstraße zu verwechseln. Ein paar Minuten später noch ein weiteres Mal umsteigen und dann hab ich es endlich geschafft. Nur zu dumm, dass ich das Ganze im Feierabendverkehr nochmal machen muss. Aber ich hab ja jetzt geübt. 


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