Ich bin arbeitslos. Mein unbefriedigender Job hat mich ohne mein Zutun
einfach so verlassen. Betriebsbedingte Kündigung. Zukünftig hoffentlich besser
bekannt als "Das Beste, was mir passieren konnte". Vor etwas über drei Jahren
bin ich da relativ unbeteiligt reingerutscht. Über Kontakte kam ich damals zu
einem recht lockeren Bewerbungsgespräch und statt auf eine Zusage warten zu
müssen, fragte man mich direkt, ob ich mir vorstellen könne, in diesem jungen,
dynamischen Start-up-Unternehmen zu arbeiten.
Ich sagte, mangels besserer
Alternativen, zu und freute mich nach mehreren Monaten lächerlichen
Praktikantenlohns auf mein erstes, echtes Gehalt. Übergangsweise, höchstens ein
Jahr, wollte ich diesen Bürojob machen, der mir mit der Arbeit an Photoshop und
diversen Schnittprogrammen relativ leicht von der Hand ging, aber eigentlich
nicht so wirklich das war, was ich machen wollte. Erstmal in die Arbeitswelt
reinschnuppern, ein bisschen Geld verdienen und parallel nach was Neuem suchen.
Zu dumm nur, dass sich Alltag und Faulheit bald einschlichen und das nette
Arbeitsklima mit den lieben Kollegen und das sichere Monatsgehalt einer
Entlassung aus eigenem Antrieb im Wege standen. Die Entfristung im März tat
dann sein Übriges und eine freiwillige Kündigung war nur noch illusorisches
Wunschdenken.
Heute sitze ich nicht an meinem angestammten Schreibtisch im Büro und nähre
meine Sehnenscheidenentzündung, sondern verbringe den Vormittag im Wartezimmer
des Arbeitsamtes meines Bezirks. Überraschenderweise liegt es in fußläufiger
Nähe meines Wohnhauses, ein Umstand, der mir zuvor nie aufgefallen war. Jetzt
bin ich froh, dass ich mich nicht umständlicher Weise mit Bus oder Straßenbahn
auf den Weg machen musste, besonders weil das heute schon mein zweiter Versuch
ist, persönlich für meine Arbeitssuchendmeldung vorstellig zu werden. Vor ein
paar Tagen bin ich schon mal hier gewesen und nachdem ich mich auf dem
Arbeitsamt-Gelände zwischen Haus 1, 2 und 3 - allesamt mit unterschiedlichen
Zuständigkeiten - entschieden hatte, teilte mir ein Sicherheitsmann mit,
dass "schon zu is. Morgen wieder. Nee morgen jar nich, dann
Donnerstach!" Das stand so nicht im Internet. Da ich jetzt innerhalb der
Öffnungszeiten hier bin und den Aufzug in der Etage des Empfangsbereichs
verlassen habe, fühle ich mich inmitten anderer arbeitsloser Mitmenschen
richtig und warte geduldig bis der Flachbildschirm an der Wand mit einem
Dreiklang die Nummer meiner Wartemarke anzeigt.
Als ich vor 3 Wochen die Kündigung erhielt, war das beängstigend und
erlösend zugleich. Arbeitslos! Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.
Was ist der nächste Schritt? Mal abgesehen von der verpflichtenden
Online-Arbeitssuchendmeldung. Lebenslauf aktualisieren, vielleicht auch gleich
neue Bewerbungsbilder machen lassen. Bewerbungsschreiben aufsetzen, welches
sich durch wenige Tastenschläge an das anzuschreibende Unternehmen anpassen
lässt. Anschließend Stellenanzeigen durchforsten, ebendie anzuschreibenden
Unternehmen finden und dann heißt es: E-Mails, E-Mails, E-Mails schreiben. Dann
Tee machen, ihn trinken und auf Einladungen zu hoffentlich vielen
Bewerbungsgesprächen warten. Ich erinnere mich circa 5 Jahre zurück, als ich
genau das schon einmal tat. Damals ging es noch um Praktikumsplätze.
Stundenlang feilte ich an Anschreiben und Lebenslauf, checkte vorm Absenden drei
Mal, ob ich auch die richtige Bewerbung an die richtige Person verschickte und
ob Name und Anschrift des Ansprechpartners mittlerweile nicht doch falsch
geschrieben sind. Neben einigen, vielen Absagen per E-Mail, kamen auch
unverhofft einige, wenige Zusagen per Telefon, natürlich im denkbar
unpassendsten Moment:
Während ich mir gerade ein Handtuch um die noch klitschnassen Haare drehe,
klingelt das Handy. Die fremde Berliner Nummer auf dem Display lässt mich
vermuten, dass ich gleich mit einem Mitarbeiter der vielen angeschriebenen
Unternehmen sprechen werde. Ganz lässig gehe ich ran und versuche mit fester
Stimme zu überspielen, dass ich gerade nur mit einem Handtuch und einem Turban
bekleidet im Badezimmer stehe. Zu dieser Zeit wohnte ich in einer Gegend, die
mein Mobilfunkanbieter nicht besonders flächendeckend mit gutem Empfang
ausgestattet hatte. Das merke ich sehr schnell daran, dass ich nur Bruchstücke
des Redeflusses meines Gesprächspartners mitbekomme. Ich versuche so leise wie möglich meine Position zu wechseln, in der Hoffnung, dass sich dadurch mein Netzempfang verbessert. Die genauen Daten meines Bewerbungsgespräches, um das
es bei diesem Telefonat geht, erfahre ich weit aus dem Fenster gelehnt, wo der
Empfang am besten zu sein scheint. "Haben Sie was zu schreiben?"
"Äh, ja klar.", sage ich und raschele mit den Laubblättern, die auf
dem Fensterbrett liegen. Er sagt mir die Adresse, Stockwerk, Ansprechpartner
und auch die beste U-Bahnverbindung zu meinem Termin, zu dem ich in 3 Tagen um
10:30 Uhr erscheinen soll. Ich versuche auf die schnelle eine Eselsbrücke zum
Stockwerk und dem Namen zu finden und hoffe, dass ich den Rest nachher
ergoogeln kann. Drei Tage später stehe ich bereits 9:30 Uhr vor der Tür des
Gebäudes. Ich habe alle Eventualitäten, die mein Zuspätkommen hätten
hervorrufen können, eingeplant, nur ist keines davon eingetreten. Außerdem habe
ich mich ganz entgegen meines Naturells nicht verlaufen (U-Bahn vom falschen
Aufgang verlassen zählt nicht), weswegen ich jetzt eine ganze Stunde warten
muss. Halb erfroren und mit voller Blase, wird mir eine Stunde später eine
Tasse Tee angeboten, die ich höflicherweise annehme und aufgrund derer ich
versuchen muss, nicht zu platzen, während ich meinen potentiellen Aufgaben
lausche: Dinge zur Post bringen ("die ist aber ganz nah"), Sachen
ordnen, Zeug kopieren. Und ich bekäme im Anschluss, also nach 6 Monaten für 400
Euro, auch ein Praktikumszeugnis ausgestellt. Glücklicherweise habe ich diese
Praktikumsstelle damals nicht bekommen.
Nummer 192. Das bin ich. Ich springe auf, gehe zu Schalter 12 und sage
meinen vorbereiteten Spruch: "Hallo, ich würde mich gern persönlich arbeitslos
melden und ALG 1 beantragen." Ein junger Mann lächelt mir entgegen und
teilt mir mit, dass das sehr schön sei, aber es hier nur ALG 2 gäbe, ALG 1 sei
zwei Etagen höher. Erfreulicherweise kann ich ohne nochmal warten zu müssen
nach oben und verlasse den Fahrstuhl nun in der Etage mit dem Hinweis
"ASU". Hätte ich ja auch wissen können, dass ich hier hin muss. Hier
oben wartet niemand und ich gehe direkt zum Schalter, wo ich abermals mein Sprüchlein
aufsage und meinen Personalausweis vorzeigen muss. Nach weiteren, wie ich im
Laufe des Tages noch feststellen werde, frequently asked questions, bedeutet
eine meiner Antworten jedoch, dass ich heute noch ein bisschen länger unterwegs
sein werde: "Sind sie Akademikerin?" Nachdem ich diese Frage bejaht
habe und genauer nach meinem Abschluss befragt werde (Bachelor of Arts, man
merke sich hier für später schon mal das ARTS), eröffnet mir die Frau am Schalter, dass in diesem Falle
das Arbeitsamt in Mitte für mich verantwortlich sei. Wenn möglich,
solle ich mich noch heute dort melden.
Zum Bachelor of Arts, der mir da gerade zum Verhängnis geworden ist, war es
ein recht langer Weg. Zwar hab ich als Kind viel Zeit damit verbracht, mir
Geschichten auszudenken, aufzuschreiben oder als Reportage mit Papas ausrangierter Kamera
aufzunehmen, bin aber nie auf die Idee gekommen, dass so was auch ein Beruf
sein könnte. Eher träumte ich vom Beruf der "Essenauftuerin" in der
Kantine oder wollte Architektin werden, nachdem meine erste Kundin Barbie sich
mit ihrem Flachbau aus Bauklötzen sehr zufrieden zeigte. Kurz vor und nach dem
Abitur war die Kamera wieder präsent und besonders bei Urlauben und Ausflügen
mein ständiger Begleiter, sodass ich die Woche nach der Rückkehr meist damit
verbrachte für die Mitgereisten ein Video zusammen zuschneiden und auf DVD zu brennen.
Mir wurde klar, dass ich in diese Richtung studieren wollte. Mit 21 Jahren
zog ich von der Kleinstadt nach Berlin, um den cool klingenden Studiengang "Digital Film
& Animation" zu belegen, in dem ich alles lernen sollte, was man zum
Filme machen braucht. Neben der oft laaaangweiligen und trockenen Theorie,
machte es aber furchtbar viel Spaß sich Konzepte für die vielen kleinen
Kurzfilm-Projekte einfallen zu lassen. Auch die Umsetzung dieser brachte Spaß,
aber auch viel technischen Schnickschnack mit sich, sodass es keine einzige Abgabe gab, bei der ich nicht kurz vor Schluss
verzweifelt am Ausspielgerät saß, um zum sechsten Mal das Band auf Synchronität
zu checken, nur um festzustellen, dass sich im Abspann ein Tippfehler befindet.
Ein paar Monate später lautete die Aufgabe: Schreibe das Drehbuch für einen
15-minütigen Kurzfilm. Nach erstem Brainstorming waren eine Kommilitonin und
ich so Feuer und Flamme für unsere gerade erschaffene Figur, dass wir darum
baten zusammen einen doppelt so langen Film machen zu dürfen. Wir durften und
arbeiteten die nächsten Wochen eifrig an "Die roten Schuhe". Diese
Erfahrung und dem besagten Bachelor of Arts reicher, war für mich eigentlich
klar, dass ich im Bereich "Drehbuch" Fuß fassen wollte, ein Unterfangen,
was so leicht dann doch nicht möglich war. Nach vielen Recherchen und
Bewerbungsversuchen erweiterte ich mein Suchfeld und bewarb mich um Praktika
bei verschiedenen Film- und Fernsehproduktionen. Dreimal hatte ich Glück und
statt Kaffee kochen und Sachen kopieren zu müssen, durfte ich kreativ sein,
selbstausgedachtes auf Video bannen, zurecht schneiden und veröffentlichen. Das
ging schon mal in die richtige Richtung, war jedoch zeitlich begrenzt und gar
nicht bis lächerlich bezahlt. Kurz darauf kam besagtes Start-up auf mich zu und
mir meine Trägheit in die Quere. Meine Ideen fanden nur noch in kleinen
Kritzel-Notiz-Büchern Platz.
Im Arbeitsamt Mitte angekommen, durchquere ich die gigantische Eingangshalle
und folge dem Schild mit der Aufschrift "Empfang". Da ich in diesem
überdimensionalen Gebäudekomplex keinen weiteren Anhaltspunkt finde, hoffe ich,
dort einen richtigen Ansprechpartner zu finden. Am Schalter sage ich abermals mein
Sprüchlein und beantworte routiniert die FAQs. Mir wird der Weg zum Warteraum
beschrieben und ich merke mir irgendwas mit "003". Ich bin froh, dass
ich überhaupt die Aufzüge finde und wähle die Etage, die mit
"Antragssteller ALG 1" beschrieben wird. Ich betrete einen Warteraum
und entdecke an der Wand ein Schild mit der Aufschrift "N3003",
darunter ein Pfeil, der auf einen Raum zeigt, in welchem laut Türbeschriftung
Kundengespräche stattfinden. Ich nehme an, dass ich alle Hinweise korrekt
kombiniert habe, setze mich und stelle mich aufgrund der nicht vorhandenen
Mitwarter auf eine kurze Verweildauer ein.
Nach zwei Jahren im Büro rüttelte ein erstes Aufbäumen meinerseits den
festgefahrenen Alltag auf. Ich nahm mir 8 Wochen frei, einen Kredit auf und
flog allein in die USA, um an der University of Los Angeles zu studieren. Neben
neuerlangtem Wissen über Regie und einer selbstgeschriebenen
Comedyserien-Pilotfolge, nahm ich von dieser Reise aber vor Allem meinen
heutigen Verlobten mit nach Hause. Mein Schicksal hatte für mich wohl eher das private, als das berufliche Glück vorgesehen. Schicksal, es
sei dir verziehen. Das soll nicht heißen, dass ich an der UCLA nichts gelernt
habe, aber zurück in Deutschland hat es mir nicht den gewünschten Auftrieb
gegeben, mich dem festen Gehalt zu entsagen und dem Chef mutig in die Augen zu
blicken und zu kündigen, zumal ich nun ja auch noch einen Kredit abzuzahlen
hatte.
Seit 60 Minuten sitze ich im Wartezimmer. Vor 20 Minuten wurde eine Frau
aufgerufen, die später als ich kam und jetzt schon wieder auf dem Weg nach
Hause ist. Im Sekundentakt laufen Leute über den Flur, die allesamt hier zu
arbeiten scheinen. Bis vor einer halben Stunde schaute ich jedes Mal erfreut
auf und hoffte, dass einer von ihnen auf mich zu kommt und namentlich aufruft,
so wie der Aufsteller in der Mitte des Raumes verspricht. Mittlerweile schaue
ich nicht mal mehr hoch, wenn jemand die Tür zur Teeküche oder der
Mitarbeitertoilette aufschließt. Es ist schon 15:30. Die machen bald zu. Mich
beschleicht die Befürchtung, dass entweder keiner weiß, dass ich hier warte
oder, noch schlimmer, ich seit über einer Stunde falsch warte und in einer
anderen Etage bereits ein Suchtrupp nach mir losgeschickt wurde. Wundern würde
es mich nicht. Sogar, wenn es eigentlich unmöglich ist sich zu verlaufen, ich schaffe es. Ich fahre sogar mit Navigationssystem falsch oder biege im Shopping-Center
nach dem Verlassen eines Ladens in die gleiche Richtung ab, aus der ich
gekommen war. Der Name "Lost Leni" kommt nicht von ungefähr. Ich kann
mir bis heute nicht merken, welche U-Bahn Linie vor meiner Haustür losfährt,
obwohl sie mich mehrere Jahre zur Arbeit gebracht hat. Solche Informationen
finden kurioserweise keine Anschlussstelle an meinen Synapsen. Dafür kenne ich
die Namen diverser Promi-Kinder und kann mindestens einen Ex-Partner ihrer
Eltern benennen. Maddox, Zahara, Pax, Shiloh, Knox und Vivienne helfen mir
hier auf dem Arbeitsamt aber grad herzlich wenig. Billy Bob Thornton und Jennifer
Aniston leider auch nicht.
Nachdem mich unzählige Arbeitsamt-Mitarbeiter zwar nett grüßten, aber nicht mitnahmen, wage ich es meinen Warteposten zu
verlassen und suche die Toilette auf. Bei der Gelegenheit statte ich auch dem
Empfang einen weiteren Besuch ab und frage vorsichtig nach, ob es zufällig sein
kann, dass ich seit etwas über einer Stunde falsch warte. Da der Herr am
Empfang scheinbar keine Synapsen für Gesichtserkennung hat und sich nicht mehr
an unser Gespräch vor einer Stunde erinnern kann, beantworte ich nicht zum letzten Mal
an diesem Tag die FAQs, um danach erneut den Weg zum Warteraum erklärt zu
bekommen. Diesmal höre ich genauer hin und erkenne nun den Unterschied zwischen
"N1003" in der 1. Etage und "N3003" in Etage 3. Zu dumm,
dass vorhin nur die Information "irgendwas mit 003" in meinem Hirn
hängengeblieben ist und ich annahm, damit könne ich nichts falsch machen.
Ich hab jetzt schon keine Lust mehr arbeitslos zu sein. Allein der Gedanke
an die vielen Formulare, die ich auszufüllen habe und nur halbwegs verstehe,
bereitet mir schlechte Laune. Trotz alledem habe ich aber auch keine Lust das
oben genannte wahr zu machen und mich schnurstracks in einen neuen Job zu
stürzen und "vorübergehend" einfach irgendwas zu machen, denn klar:
Ich bin kein 53-jähriger Maurer mit Bandscheibenvorfall. Meine Chancen auf dem
Arbeitsmarkt sind recht gut und wenn ich mich nicht ganz blöd anstünde, wäre
mein neuer Job mit Sicherheit besser bezahlt, als der vorherige. Nur würde mir
nach ein paar Wochen oder vielleicht auch schon ein wenig früher auffallen,
dass ich mit dem neuen Job versehentlich wieder in ein Hamsterrad gelangt bin,
in dem sich alles um die Frage dreht, wann wieder
Freitag ist.
Endlich sitze ich am Tisch einer Bearbeiterin, die mich in ihrem
Computersystem gefunden hat, und nun mit mir gemeinsam mein Kundenprofil
vervollständigt. Wie aus der Pistole geschossen antworte ich auf ihre Fragen,
als wüsste ich auf wundersame Weise bereits, was sie von mir wissen will.
"Sind Sie Akademikerin?" Nachdem, was mir gerade passiert ist, wage
ich kaum diese Frage zu bejahen. In der Hoffnung, dass mir mein Bildungsgrad
durch verlaufen und falsch warten nicht nachträglich aberkannt werden kann und mit dem Hintergedanken, dass ich doch gerade deshalb ins Arbeitsamt Mitte gekommen bin,
sage ich etwas verunsichert "Ja, bin ich?!" Die Bearbeiterin klickt wild rum, tippt
irgendwas und sagt: "Ich sehe sie haben im Bereich Film und Kunst studiert.
Dann ist leider das Arbeitsamt ihres Bezirkes für sie zuständig." Meine
Gesichtszüge entgleisen, gleichzeitig beruhigt es mich, dass ich nicht alleine
für meine Arbeitsamt-Odyssee verantwortlich bin. Netterweise druckt mir die
Bearbeiterin noch ein Dutzend Formulare aus, die ich auszufüllen und in einer
Woche in meinem fußläufig zu erreichenden Arbeitsamt abzugeben habe.
Wäre an diesem Tag alles problemlos verlaufen, ich also direkt zum richtigen
Schalter gegangen und hätte die Schalter-Frau mich nicht fälschlicherweise nach
Berlin-Mitte geschickt, wäre all das oben stehende nicht passiert und dieser
Blogeintrag nie geschrieben worden. Also sehe ich die Ereignisse dieses Tages
als Recherche. Ein Tätigkeitsbereich meiner neuen Arbeit. Denn seitdem ich
diesen Sommer angefangen habe, diesen Blog zu schreiben, ist endlich wieder
Kreativität in mein Leben getreten. Ich habe wiederentdeckt, was mir schon als
Kind und später im Studium Freude bereitet hatte und traue mich nun
festzustellen, dass ich es auch kann. Und will. Ich will Schreiben. Beruflich.
Seit Jahren stöbere ich in Büchern, verschlinge Dokumentationen oder lese
Erfolgsgeschichten derer, die nicht mehr arbeiten müssen. Ich rede nicht von
Leuten, die so reich sind, als dass sie nur noch mit der Yacht durch die
Karibik schippern, sondern von Menschen, die nicht mehr arbeiten, weil sie ihre
Arbeit nicht als Arbeit ansehen. Sie verbringen den Tag mit Dingen, für die sie
sich begeistern und mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das
möchte ich auch. Ich habe keine Lust zu resignieren und davon auszugehen, dass
mir nicht vergönnt ist, plump ausgedrückt, mein "Hobby zum Beruf" zu
machen. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angekommen, der mir die Chance
bietet, wieder auf den richtigen Pfad zu kommen, auch wenn dieser beschwerlich wird.
Den leichten Weg habe ich in den vergangenen drei Jahren genommen. Ich
möchte nicht sagen, dass es vertane Zeit war, in der ich nichts
gelernt habe. Auch Umwege erweitern unseren Horizont. Es war eher eine lustige
Klassenfahrt in einem Reisebus, der mit gedrosselter Geschwindigkeit eine monotone
Straße entlangfährt und fährt und fährt, aber irgendwie nie anzukommen schien.
Eine Reise ins Nirgendwo. Genau da wurde ich nun ausgesetzt. Jetzt stehe ich
hier, auf einer einsamen Straße im Nebel und stelle fest, dass ich mich mal wieder verirrt habe. Auch wenn ich noch nicht sehen kann, wo
ich hin laufe, so kenne ich jetzt zumindest die richtige Richtung. Ich mache einfach einen Schritt
nach dem anderen und vertraue darauf, dass der Weg hinter dem Dunst
weitergeht. Mit Sicherheit wird es um einiges anstrengender, mühsamer und
nervenaufreibender als im Bus, aber dafür auch spannender und abenteuerlicher
mit interessanten Dingen am Wegesrand, die ich zuvor geistessabwesend an mir
vorbeiziehen ließ. Ich bin gewillt diesen Weg zielstrebig zu gehen, auch wenn
hier und da asphaltierte Straßen abzweigen, die viel komfortabler zu sein
scheinen, gehe ich lieber über Stock und Stein und bin mir sicher, dass ich auf
Menschen treffe werde, die mir über schlammige Abschnitte und reißende Bäche
hinweg helfen. Ich habe mich in meinem bisherigen Leben genug verlaufen. Ich als "Lost
Leni" muss es ja schließlich wissen.